Freitag, 21. Mai 2010

Kriechen am Rhein


Letztes Wochenende war ich bei Waldshut-Tiengen. Mit dem Zug. Die Hinfahrt war ereignislos. Die Rückfahrt eigentlich auch. Nur um einiges, einiges, einiges lang-sam-er. Zuerst stand ich mit einem Freund ewig am Bahnhof. Wir haben sogar den langsameren Zug durchfahren lassen. Immerhin war der nächste Zug ein RegionalExpress. Was wir nicht wussten, ist dass Regionalzüge auf dieser Linie und an diesem Sonntag RegionalKriecher wurden. Es fing mit einer dieser Durchsagen an. Es gibt ja nur drei Arten von Durchsagen auf kleinen Bahnhöfen. Die Warnung vor einem Zug, die Ankündigung eines Zuges und die Verspätung eines Zuges. Die Verteilung ist ungefähr 10/40/50.

Und wir hatten die letzte Durchsage. Ich hatte Zeit, also war es für mich nicht ganz so schlimm. Dafür fand ich die Durchsage an sich etwas seltsam. Es ging ungefähr so: "Der Zug XY nach Basel wird sich wegen Personen auf den Gleisen um ungefähr 20 Minuten verspäten ."

Klang erstmal nicht so ungewöhnlich, aber je mehr ich drüber nachdachte, desto mehr begann ich mich zu fragen was genau los war. Erstmal hieß es Personen. Also waren da Mehrere auf den Gleisen. Und anscheinend war es nicht so einfach diese Leute davon herunterzukriegen. Ich stellte mir also einen Zugführer vor, der früh genug ein paar Leute, oder sogar eine große Gruppe, auf den Gleisen sieht, erst fürchterlich erleichtert ist, dass er rechtzeitig bremsen konnte, aber dann erfolglos versucht die Leute vom Gleis zu scheuchen. Was mich wiederum fragen ließ, wer wenn er einen Zug anfahren sieht, nicht sofort kreischend aus seinem Weg springt? Wer bleibt denn bitte stehen? Eine fanatische Sekte, die beschlossen hatte bei einem Grouphappening alle zusammen sich vor den Regionalzug zu werfen und dessen schnellen Anhalten sie nicht daran hinderte ihre Vorhaben weiterhin in die Tat umzusetzen und womöglich den armen Zugführer aufforderte bitte endlich weiterzufahren, damit sie in ihr versprochenes Paradies kommen konnten, dass anscheinend nur mit Hilfe des Regionalexpres zwischen Rheinfelden und Grenzach erreichbar ist für die Gläubigen. Oder vielleicht eine liegengebliebene Junggesellinnen-Abschiedsparty, die von entnervten Reisenden samt Zugpersonal nach dem x-ten Verkauf von Schnäpsle, Rosen und einem herzzerreißenden Schlachtruf, der ein bisschen nach armer Sau auf dem Schlachthof klingt, zwischen den Verkäufen, mitten auf der Strecke ausgesetzt wurde. Da die armen Damen leider so betrunken waren, dass sie sich kaum auf den Füßen halten konnten, stolperten sie einfach den Gleisen hinterher, in der Hoffnung auf ein neues Opfer. Und starrten erst etwas entgeistert auf den anderen Zug, aber wollten dann rein, um die arme Braut in Tutu und lilablassblauer Perücke dazu zu zwingen, noch mehr Alkoholika zu verkaufen. Die Mitreisenden hatten die Gefahr erkannt und sich verschanzt. Und nun standen sie da zwischen Rheinfelden und Grenzach und hoffen von der Polizei gerettet zu werden, während wir auf unseren Zug warteten.

Ich hatte also eine Beschäftigung bis der Zug tatsächlich zwanzig Minuten später eintraf, und diese Beschäftigung sollte mir und meinen Begleiter helfen, die weitere Wartezeit zu überbrücken. Kaum waren wir nämlich im Zug, kam kurz darauf später eine ähnliche Durchsage. Diesmal war der gesamte Streckenabschnitt auf unbestimmte Zeit gesperrt, wieder wegen diesen Personen auf der Strecke. Vielleicht hatten die Sektenanhänger begonnen gegen den Zug zu springen und waren nur mit Mühe und Not aufzuhalten von den verdutzten Polizisten? Oder die Jungegesellinnen waren zum Angriff übergegangen und bombardierten den Zug mit schlechten Akronymen und Wortspielen, die sie mit noch mehr Alkohol würzten? Vielleicht führte eine verwirrte Akrobatentruppe ihre alljährliche Rheinfelden-Grenzach-Programm für beeindruckte, wenn auch leicht genervte Zugreisende auf?

Nach einiger Zeit fuhren wir dann auch weiter. Nun, fahren ist etwas übertrieben. Fahren impliziert ja irgendwie, dass wir uns schneller als eine Weinbergschnecke fortbewegten, aber das kann man von unsere Geschwindigkeit wirklich nicht sagen. Also, krochen wir Zentimeter um Zentimeter zwischen Grenzach und Rheinfelden und erfreuten uns an der pitoresken Landschaft. Der Rhein war zur unseren Linken. Und obwohl ich sonst Flüße mag, sie vom Zug aus im Schritttempo zu beobachten ist keine sehr ausfüllende Beschäftigung. Außer braun, fließend und gelegentlich angetauten Booten gab es da nicht sehr viel zu sehen. Zur linken sah ich viele Strommasten, Büsche, Bäume und gelegentlich Polizisten, die wohl selbst nicht genau wussten nach wem sie genau suchen mussten.

Bevor jetzt der Vorsitzende des Rheinfelder Touristenverbands e.V. aus irgendeinem seltsamen Zufall das hier lesen sollte und erbost auf die schöne Lage hinweisen sollte, möchte ich ihm versichern, dass ich selbst davon überzeugt bin, dass Rheinfelden sicher sehr sehr schön, malerisch und überhaupt toll ist. Leider sieht man das vom Zug aus nicht. Schon gar nicht im Regen, im Halbdunklen und hinter Büschen. Andererseits weiß ich nun, dass - sollte ich mal in Rheinfelden urlauben - es dort garantiert Strom gibt und einen Fluss, in dem man vielleicht sogar baden oder immerhin befahren kann. Außerdem hat mich das wieder erinnert, dass man nie einen Zug ohne MP3-Player, Buch oder ähnlichem bewaffnet, besteigen sollte. Sonst muss man sich am Ende mit skurrilen Ideen über den Grund der Verspätung durchschlagen.

Und vor Allem weiß ich, sollte ich mich mal auf die Gleise dort verirren, dass die Chance besteht, dass die Zugführer sehr schnell zum Stehen kommen und ich das unbeschadet überstehen könnte. Und für jemanden wie mich, die sich mal in einem kleinen Nebenort meines Heimatortes verfahren hat, ist das auf jeden Fall ein Argument.
Auf die Dauer gehen irgendwann sogar mir die blöden Ideen aus. Und ich habe eine Menge blöde Ideen.

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